Seit den 1990er Jahren haben sich Kritiker*innen und Kurator*innen die Idee zu eigen gemacht, dass partizipatorische Kunst die ultimative politische Kunst ist: Indem die Künstler*innen das Publikum zur Teilnahme ermutigen, können einer neue, befreiende soziale Beziehungen fördern.
Diese „post-studio“- Kunstpraxen, in welchen es zentral um das Verhandeln der Grenzen zwischen Kunst und Leben sowie Kunst und Politik geht, werden seit den 1990er Jahren unter Begriffen – und hier beziehe ich mich auf die Auseinandersetzungen Claire Bishops mit dem Thema Partizipation (2012) – wie „socially engaged art, community-based art, experimental communities, dialogical art, littoral art, interventionist art, participatory art, collaborative art, contextual art and (most recently) social practice“[1] gefasst. Nach Bishop, "Nicht nur die Begrifflichkeiten, sondern zugleich auch die Rolle der Künstler*nnen hat sich dabei verändert. Der Fokus liegt nunmehr auf der Produktion von Situationen und temporären sozialen Räumen”[2].
Das Ausstellungsprojekt "THIS IS A NOT A LOVESONG - Räume für Aktivierung" wurde von Studierenden im Kolloquium “Experimentieren und Intervenieren im öffentlichen und sozialen Raum” am Institut für Kunst im Kontext der UdK konzipiert. Realisiert wurde sie im Rahmen eines weiteren Seminars ("Globale Gerechtigkeit”) von Kristina Leko. An dieser Kooperation zwischen dem Projektraum Galerie M und Institut für Kunst im Kontext sind 16 internationalen Studierenden sowie Gaststudieneiden der Universität der Künste Berlin, der Kunsthochschule Berlin-Weißensee beteiligt. Das Projekt konnte die Förderung der UDK-Kommission für künstlerische und wissenschaftliche Vorhaben gewinnen; eine weitere Unterstützung kommt durch die Wohnungsgesellschaft degewo.
Die künstlerischen Positionen befassen sich mit gesellschaftlich relevanten Themen wie Feminismus, Dekolonialität, Umweltschutz, Gentrifizierung und zeitgenössischer Stadtentwicklung. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass Partizipation mit Empowerment und Demokratisierung verbunden ist. Die Umwandlung des sozialen Dialogs in ein Medium hat fast zwei Semester gedauert und wird noch bis zum Ende der Ausstellung andauern, die noch anderthalb Monate dauern wird, bis zum 13. August 2022. In der Ausstellung sind jedoch auch Arbeiten von lokalen Künstler*innen aus Marzahn und Hellersdorf (Verein Neue Kunst Initiative) gezeigt, die zu den oben erwähnten Themen ihre Kunstwerke nach einem Open-Call eingereicht haben. Am meisten handelte sich um Malerei, sind aber auch 2 Videoinstallationen vorhanden.
Der partizipative Charakter dieses Projekts kam gleich in vier Formen zum Ausdruck: Fast jedes Projekt der Studierenden des Masterstudiengangs Kunst im Kontext und der Gaststudieneiden der Kunsthochschule Weißensee, die sich ihnen angeschlossen haben, beinhaltet eine Interaktion mit benachbarten Organisationen und die Beteiligung von Zuschauern oder anderen Künstler*innen. - Die Teilnehmer*innen interagieren miteinander und spielen eine Rolle bei der Selbstorganisation der Ausstellung. - Und auf dieselbe Weise interagieren sie mit den Mitarbeiter*innen der Galerie, und einige von ihnen wählen ihre Projekte mit Künstler*innen der Galerie oder ihren Mentees aus und nehmen weiterhin an ihnen teil. - Nicht zu vergessen die Zusammenarbeit mit den Institutionen: der UdK-Verwaltung, dem Bezirk, der degewo sowie mit den lokalen Laden und Druckereien.
Auf diese Weise wuchs die Zahl der sozialen Verbindungen exponentiell. Ein Blick auf das vollgepackte Programm genügt, um sich davon zu überzeugen. Ich werde Ihnen nur eine beeindruckende Liste von Beteiligungstechniken geben, damit Sie sich selbst davon überzeugen können:
● Interne Selbstorganisation und Kommunikation
● Interaktive Performances
● Workshops
● Interviews - Feldforschung
● Vermessung und Audiodokumentation
● Sammeln eines Audioarchivs
● Rundgang
● Öffentliche Führungen
● Gesprächsrunden
● Künstlergespräche
● Filmvorführung
● Karaoke
Das Projekt konzentriert sich auf soziale und globale Gerechtigkeit und soll überall dort, wo es durchgeführt wird, vom Nutzen sein. Ursprünglich als Intervention im Stadtraum konzipiert, versuchen die Künstler*innen, die benachbarten Organisationen der Marzahner Promenade einzubeziehen. Der Produktionsprozess der Ausstellung zeigte, wie unterschiedliche ethische Vorstellungen über den Ablauf der Arbeit und die dahinterstehenden Absichten vorherrschend sind: sie trugen zum Aufbau von Mikrogemeinschaften bei. Nach einer Weile wuchs die künstlich geschaffene Gemeinschaft zu einer echten Mikrogemeinschaft heran, die sich als "wir von der Marzahner Promenade" bezeichnete. Die soziale Teilhabe und der Prozess, die Zusammenarbeit in gegenseitigem Einvernehmen werden stärker gewichtet als das Handwerkliche (einige Werke blieben im Prozess), aber der performative Teil oder die Workshops werden nicht geopfert und bilden das Veranstaltungsprogramm der Ausstellung. Der Projektraum Galerie M ist Ausstellungsfläche in Progress und Ankerpunkt. Dort werden Arbeiten gezeigt, laufend ergänzt und verändert.
Der Diskurs dreht sich um Fragen der Gleichberechtigung, der Teamarbeit, der Urheberschaft oder der Ausbeutung. Obwohl sich nicht alle in gleichem Maße an dem Prozess beteiligten und obwohl es am Ende ein wenig Konflikte gab (was bei großen kollektiven Projekten unvermeidlich ist, wie die Praxis zeigt), glättete der Wunsch nach Interaktion und Problemlösung die scharfen Kanten auf positive Weise. Das Projekt wurde bis jetzt von den meisten Teilnehmer*innen meiner Umfragen positiv bewertet und als erfolgreich eingestuft, unabhängig von den ursprünglichen Zielen. Es ist bezeichnend, dass alle Teilnehmer Frauen waren, was die Betonung der sozialen Komponente zu rechtfertigen scheint.
Die Erfahrung der Nachbarschaft beeinflusst auch die Auswahl der Kunstwerke durch die Mitarbeiter*innen des Projektraums Galerie M. Nach Rancière "... Die beiden Prozesse sind miteinander verknüpft: Die Kunst der Nähe (die sozialen Bindungen wiederherstellt) ist gleichzeitig eine Kunst, die versucht, das zu beobachten, was strukturell von der Gesellschaft ausgeschlossen ist. Die exemplarische ethische Geste in der Kunst ist also eine strategische Verdunkelung des Politischen und des Ästhetischen.[3]”
Elena Kaludova, eine der Leiter*innen des Projektraum Galerie M erklärte mir, dass sie sich grundsätzlich nicht als Kurator*innen bezeichnen, der Projektraum ist unabhängig und Raummiete wird vom Bezirk gefördert. Sie sieht als ihre Hauptaufgabe, die Künstler*innen des Bezirks zu unterstützen, was den Projektraum zu einer stabilen, aber offenen Gemeinschaft gemacht hat.
Es ist noch zu früh, um abzuschätzen, wie sich diese temporäre Gemeinschaft weiterentwickeln wird, aber die Erfahrungen, die bei der Arbeit an dem Projekt gesammelt wurden, können schon jetzt als exklusiv bezeichnet werden.
Yanka Smetanina, Künstlerin/Kuratorin, Mitglied des Projektkuratoriums
Berlin, Juli 2022
[1] Clair Bishop “Artificial hells Participatory Art and the Politics of Spectatorship”, S.1, 2012, Verso. [2] Ibid, S.193. [3] Dissensus: On Politics and Aesthetics - Rancière, J., Continuum International Publishing Group, 2002.
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